Samstag, 26. Oktober 2013

Ausgeträumt

HSV, Hertha, VfB: Um die Jahrtausendwende galt Giuseppe Ricciardi (29) als eine der größten Hoffnungen des deutschen Fußballs. Dann wurde er bedroht, verletzte sich und kehrte aus der Karibik mit einer ominösen Krankheit zurück. Die tragisch-verrückte Geschichte eines Mannes, der erst durch den Fußball lernte, wo er eigentlich hingehört.

Von Ibrahim Naber

guiseppe-ricciardi

Reutlingen. Lange Zeit ging es für Giuseppe Ricciardi einfach nur steil nach oben. In Amerika hätte man wohl gesagt: „The sky is the limit“ - nach oben sind diesem Jungen keine Grenzen gesetzt. Vom SV 03 Tübingen wechselte Ricciardi in der E-Jugend zum VfB Stuttgart, der ihn bei Talenttagen entdeckt hatte. Er gehörte beim VfB zu den Besten seines Jahrgangs, wurde schließlich zum Kapitän der wfv-Auswahl ernannt. Früh meldete sich der DFB bei ihm. Klaus Sammer, der Vater von Bayerns Sportvorstand Matthias Sammer, wollte Ricciardi für die deutsche U-16 Auswahl nominieren. Doch zu einem Länderspiel kam der Talheimer letztendlich nie. Denn: Ricciardi besaß lediglich die italienische Staatsbürgerschaft: „Und meine Mutter sagte, ich solle erst mit 18 entscheiden, welchen Pass ich haben möchte“, erklärt der zentrale Mittelfeldspieler.

Psychischer Terror in Hamburg

Nationalspieler hin oder her: Für viele stand fest, dass Ricciardi einmal ein ganz Großer wird. Sie sollten zunächst recht behalten. Mit 16 zog der Italiener in eines der ersten deutschen Fußball-Internate überhaupt ein. In Hamburg, beim ehemals großen HSV. Auch im Norden setzte sich die Erfolgsgeschichte zunächst wundersam fort. Ricciardi wurde gleich in der B-Jugend Kapitän, erzielte in einer Saison 16 Tore für den HSV. Sogar bei den Amateuren durfte er mehrmals reinschnuppern.
Doch es gab etwas, das Ricciardi Angst machte. Zwei Schüler der Gesamtschule, auf die er ging, bedrohten ihn: „Sie wollten Geld von mir und mein Handy wegnehmen. Es hörte nicht auf. Das war psychischer Terror, ich habe viel geweint damals. Die Zeit damals hat einiges verändert.“ Das Ganze ging soweit, dass Mitarbeiter des HSV Ricciardi irgendwann sogar als Schutz zur Schule begleiteten. War ein Schulwechsel nicht möglich? „Das stand gar nicht zur Debatte für mich. Ich hatte Angst und wollte nur noch weg.“

Wechsel nach Berlin

Obwohl der HSV ihm einen lukrativen Fünf-Jahresvertrag anbot, wechselte Ricciardi schließlich auf Wunsch des damaligen Jugendkoordinators Falko Götz zu Hertha BSC Berlin. Doch auch in der Hauptstadt fühlte er sich nach mehr als einem Jahr unwohl. Er hatte Heimweh. Deshalb folgte schon in der A-Jugend die Rückkehr zum VfB. In der Heimat blühte Ricciardi wieder richtig auf. Er war Stammspieler neben Leuten wie Mario Gomez oder Christian Gentner, als der VfB 2003 die A-Jugend Meisterschaft gewann. Er erhielt einen Profivertrag in Stuttgart und sollte sich in der zweiten Mannschaft für die Bundesliga empfehlen. Doch schwere Verletzungen wie ein Innenbandriss im Knie warfen ihn immer wieder zurück. Beim Oberligisten FC Nöttingen wollte er sich 2005 wieder herankämpfen.

Die ominöse Krankheit

Doch dann erneut ein Rückschlag: Aus einem Karibikurlaub kehrt Ricciardi mit einer mysteriösen Krankheit zurück. Seine Augen sind gelb, er fühlt sich extrem schwach. In der Uniklinik Tübingen diagnostizieren sie eine schwere Lebensmittelvergiftung. Er fällt erneut für fünf Monate aus.

Verletzungen und Schicksalsschläge ziehen sich wie ein roter Faden durch Ricciardis Karriere. Als er auch aus finanziellen Gründen schließlich 2009 nach Zypern wechselt, hat er einen Bandscheibenvorfall. Als er 2011 nach Deutschland zurückkehrt und sich Oberligist Türkiyempsor Berlin anschließt, geht der Klub nach wenigen Spieltagen insolvent. Giuseppe Ricciardi wollte den Fußball prägen, doch der Fußball prägte am Ende ihn: „Ich habe viel über das Leben gelernt durch den Fußball. Als Talent wurde ich überall umjubelt, alle wollten etwas von mir. Später dann lernte ich: Wenn es drauf ankommt, bist du ein Einzelgänger.“

Elf Profistationen, Berater bei Gaudino


Nur wenige Menschen hätten auch in den schweren Zeiten zu ihm gehalten, sagt Ricciardi. Seine Familie und seine Frau gehören dazu. Und ein gewisser Maurizio Gaudino. Der ehemalige Bundesligaspieler beriet Ricciardi auf all seinen Stationen. Mittlerweile arbeitet Ricciardi neben dem Fußball auch als Spielerberater in der Agentur von Gaudino.

Nach insgesamt elf Profistationen und all den Rückschlägen ist Ricciardi nun beim Oberligisten SSV Reutlingen angekommen. Er ist verletzungsfrei und einer der Leistungsträger im Team. Trainer Murat Isisk sagt über seinen Kapitän: „Ich bin begeistert von ihm! „Giuse“ ist eine Vorbildsfunktion für die jungen Spieler.“ Ricciardi wohnt mit seiner Frau in Echterdingen und ist froh, endlich wieder zurück zu sein. Wenn es nach ihm geht, beendet er mit „35 oder 36“ seine Karriere beim SSV. Ricciardi, der in Heilbronn eine Fußballschule gründen will, hat eine klare Vision: „In den nächsten zwei, drei Jahren will ich mit dem SSV in die Regionalliga aufsteigen! Der Verein war kaputt und ist jetzt wieder da. Die Fans, das Stadion…es ist so viel möglich mit diesem Klub! Wir wollen uns wieder einen Namen machen und die Leute zu uns ins Stadion locken.“ Es scheint, als sei Giuseppe Ricciardi endlich angekommen, wo er hingehört: In der Heimat.

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