Geld im Amateurfußball

Montag, 29. Juli 2013

Die Mär von den 11 Freunden

Wie Geld den deutschen Amateurfußball dominiert


Im Schatten der Profiligen fließen im deutschen Amateurfußball unglaubliche Geldbeträge. Auch in Baden-Württemberg. Schon in der Landesliga verdienen einige Spieler mehrere hundert Euro im Monat. In welcher Liga fließt wie viel Geld? Wie erfolgen die Zahlungen? Und: Ist es richtig, dass manche deutsche Amateurfußballer mehr Geld verdienen als Profisportler anderer Sportarten?

Ibrahim Naber

Tübingen.
Es war wie in einem Traum, als Holger Schneider* zu Beginn des neuen Jahrtausends zum ersten Vertragsgespräch seines Lebens erschien. Der damalige Zweitligaverein SSV Reutlingen wollte den 19-Jährigen Abiturienten für sein zweites Team verpflichten. Für die Verbandsliga, die damals fünfte Liga Deutschlands. Große finanzielle Erwartungen hatte Schneider deshalb nicht, als ihm Manager Wilfried Gröbner den Vertrag überreichte. Doch als er auf das Papier vor sich sah, fing sein Herz wie wild an zu rasen: „Ich war einfach baff. Total geplättet von den Zahlen auf dem Papier. Ich habe den Stift genommen und sofort unterschrieben.“ Ohne zu verhandeln.
Konkret hielt der Vertrag fest: 600 DM Festgeld pro Monat im ersten, 800 Mark im zweiten Jahr. Hinzu kamen Prämien zwischen 75 bis 100 Mark pro Punkt. Auch fünf paar Sportschuhe pro Jahr im Gesamtwert von rund 700 Mark wurden Schneider zugesichert. Monatlich kam der Schüler durchschnittlich auf rund 1200 Mark. Einmal, erinnert sich Schneider, erhielt er eine Abrechnung über 2500 Mark - für sechs Wochen Verbandsligafußball.

Mit Geld ist ganz unten alles möglich

Mit Geld im Amateurfußball verhält es sich ähnlich wie mit Doping im Spitzensport: Über das gesamte Thema hüllen alle Beteiligten am liebsten den Mantel des Schweigens. Dennoch standen insgesamt mehr als zehn Spieler, Trainer und Manager von Kreis- bis Oberliga sowie zwei Spielerberater dem TAGBLATT für diesen Artikel Rede und Antwort. In vertraulichen Gesprächen lässt sich heraushören: Schon ab der Kreisliga ist Geld der dominierende Faktor im Fußball. Sprich: Steht einem Verein genug Kapital zur Verfügung, ist gerade in den ganz unteren Ligen fast alles möglich:

Die TSG Young Boys Reutlingen sind offenbar so ein Klub der unbegrenzten Möglichkeiten. 2006 gegründet, stieg das Team nach vier Meistertiteln in Rekordzeit von der C-Liga bis in die Landesliga auf. Präsident, Gründer und Mäzen Thorsten Bauer stellt seinen Anspruch klar: „Wir wollen bei den Aktiven und in der Jugend die Nummer eins in der Region werden.“
Dafür investiert der Versicherungsmakler seit Jahren kräftig in den Verein. Eine „sechsstellige Summe“ habe er bereits in die Young Boys gesteckt, sagt Bauer auf Nachfrage. Einige Akteure bekommen ein kleines Auto samt monatlichem Zuschuss für Benzin gestellt. Darüber hinaus reist das gesamte Team auf Kosten des Vereins ins Trainingslager nach Barcelona.

Um kurzfristig erfolgreich zu sein, lockte der Klub in der Vergangenheit immer wieder Spieler aus deutlich höheren Ligen nach Reutlingen. Mario Tunjic (28) etwa, einen Stürmer im besten Alter, der zuvor in der Oberliga Tor um Tor schoss. Warum wechselt solch ein Spieler in die Bezirksliga?
Bauer stellte Tunjic und einige weitere Spieler in seinem Unternehmen ein. Der Präsident beteuert: „Wir locken keine Spieler mit Geld! Niemand verdient bei uns mehr als 200 Euro im Monat. Spieler wie Tunjic stelle ich ein, weil sie intelligent sind. Aber natürlich spielt der Fußball da auch eine Rolle.“

Wo ist die Grenze zwischen Beruf und Fußball?

Es kommt häufig vor, dass die Grenzen zwischen Beruf und Amateurfußball wie im Fall von Tunjic verschwimmen. Problematisch, denn: Es bleibt letztlich unklar, wie viel Geld ein Spieler für den Fußball und wie viel er für seine Arbeit bekommt.
Spielerberater Hans-Joachim Sterr kennt etliche solcher Fälle. Mit seiner Agentur CTS-Management betreut er Amateurfußballer in Baden-Württemberg. Erst kürzlich vermittelte Sterr einen jungen, arbeitslosen Kicker an den Bezirksligisten FV Bad Urach: „Erst durch den Wechsel hat er eine Arbeitsstelle bekommen“, berichtet Sterr.
Als Spielerberater ist er bei Vertragsverhandlungen fast immer dabei. Er kennt die Summen, die gezahlt werden.

Ab der Bezirksliga ist Geld üblich


Die Unterschiede bei der Höhe der Gehaltszahlungen in den einzelnen Ligen sind enorm. Sowohl zwischen den Teams, als auch innerhalb der Teams. Nach Aussagen von Spielern und Trainern ist es ab der Bezirksliga (Liga acht) üblich, dass die Mehrheit der Spieler von ihren Vereinen Geld erhält. Ausnahmen wie Bezirksligist TV Derendingen, der überhaupt kein Geld zahlt, bestätigen die Regel. Welche Leistungen honoriert werden, variiert: Viele Vereine zahlen Punkt- oder Einsatzprämien, oft gibt es kleine Beträge für Trainingsteilnahmen und Fahrten und spätestens ab der Verbandsliga gibt es fast nur noch Vertragsspieler mit monatlichen Festgeldern.

Als Vertragsspieler gilt laut DFB, wer „Vergütungen oder andere geldwerte Vorteile von mindestens 250 Euro monatlich“ erhält. Ab dieser Summe sind die Spieler auch offiziell sozialversicherungspflichtig. Die Betonung liegt auf offiziell: „Was daneben abläuft, ist etwas ganz anderes. Viele Vereine haben private Gönner, die für spezielle Spieler Extragelder zahlen“, erklärt Sterr.
In Ausnahmefällen bekommen auf diesem Wege schon einzelne Spieler aus der Kreisliga A oder B am Monatsende einen Umschlag mit Geld zugesteckt. Und (Spieler-)Trainer erhalten bereits in den Kreisligen oft Beträge zwischen 500 bis 900 Euro monatlich. Auch dank Übungsleiter-Zuschüssen des Württembergischen Landessportverbandes (WLSB). Ab der Landesliga würden dann meist schon vierstellige Gehaltssummen an Trainer gezahlt, berichteten aktuelle Coaches.

500 Euro sind schon in der Landesliga möglich


Wie mehrere Quellen bestätigten, kann Fußball für Spieler schon ab der Landesliga sehr lukrativ werden. Besonders, wenn ein Mäzen einen Verein unterstützt. Bei ambitionierten Landesligisten wie dem FC Gärtringen oder der TuS Metzingen können Topspieler auf über 500 Euro im Monat kommen. Im Durchschnitt dürften mittlerweile ehemalige Spitzenzahler wie der SV Nehren oder die Spvgg Mössingen liegen, die rund 150-250 Euro zahlen. Die TSG Tübingen ist da schon ein Exot: Der Klub soll bis auf winzige Prämien keine Gehälter zahlen.
Der finanzielle Unterschied zwischen der Landes- und der Verbandsliga ist enorm. Sterr schätzt, dass ein Verbandsligaspieler inklusive Prämien zwischen 400 bis 700 Euro pro Monat verdient. Bei ambitionierten Vereinen in der Oberliga wie z.B. Waldhof Mannheim sollen Spieler auf Beträge weit über 1000 Euro monatlich kommen. Von diesen Summen ist man beim SSV Reutlingen mittlerweile übrigens weit entfernt.

Geldgeile Generation?


Es gibt sie: Amateurfußballer, die nur noch mit dicken Dollarzeichen in den Augen den Platz betreten. Glaubt man den Erzählungen vieler Manager und Trainer, gibt es sie im Jahr 2013 mehr denn je. Ein aktueller Landesliga-Trainer, der nicht namentlich genannt werden will, berichtet von dreisten Gehaltsforderungen bei Vertragsverhandlungen: „Da sitzt dir dann ein 19-Jähriger gegenüber und sagt: ‚Für unter 200 im Monat zieh’ ich meine Kickschuhe nicht an’. Die Spieler werden verdorben, der Markt ist kaputt!“

Zählen Werte wie Ehrlichkeit und Loyalität im Fußball überhaupt noch etwas? Fest steht, dass zumindest die Vereinstreue stark abgenommen hat. 20 000 Spieler wechselten alleine im Württembergischen Fußballverband (WFV) im Jahr 2012 bei den Aktiven den Verein. Vorbei die Zeiten, in denen Spieler ein leben lang für ihren Heimatverein spielten. Heute wechseln Kicker zum Teil mit 25 Jahren das fünfte Mal das Trikot. Die Bindung zwischen Verein und Spieler ist lockerer geworden: „Zahlt der Nachbarverein heute 50 Euro mehr, wechseln viele Spieler sofort. Ich war früher einfach nur geil zu kicken. Nach Geld habe ich nie gefragt“, sagt Murat Isik, Trainer des SSV Reutlingen.
Im Gegensatz dazu erwarten viele Spieler heute, dass sie für ihren Aufwand von drei bis vier Mal Training pro Woche zumindest eine kleine Aufwandsentschädigung bekommen: „Auf der einen Seite muss man sehen, dass der Aufwand ab der Bezirksliga schon extrem ist. Ich investiere mit Training und Spiel rund 60 Stunden pro Monat in Fußball. Dafür das bisschen Geld? Da wäre jeder Nebenjob lukrativer. Auf der anderen Seite geht es natürlich um unser Hobby! Das sollten wir nicht vergessen“, sagt Stürmer Pedro Keppler vom SV Nehren.

Holger Schneider lernte schnell, dass Geld im Amateurfußball nahezu alle Bereiche dominiert. Auch das Strafsystem beim SSV hatte es in sich. Wer beim „Eckle“-Spiel im Training nach 20 Kontakten noch nicht den Ball erobert hatte, musste zehn Mark in die Mannschaftskasse zahlen. Schneider erinnert sich: „Mein Handy vibrierte einmal während einer Taktikbesprechung. Ich dachte zuerst, dass es niemand mitbekommen hätte. Dann kam der Trainer nach der Besprechung zu mir und brummte mir meine Strafe auf: 50 Mark in die Mannschaftskasse. Der teuerste Anruf meines Lebens.“
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Hat Geld im Amateurfußball was zu suchen?

Nein, sagt Hans Peter Müller-Angstenberger. Der Volleyball-Trainer von Erstligist TV Rottenburg war früher selbst lange Amateurkicker. Seine Meinung: „Das sind unterklassige und mittelmäßige Spieler. Da hat Geld nichts zu suchen!“ Der TV Rottenburg erlebt jährlich, wie schwer es ist, im Schatten des allmächtigen Fußballs professionellen Sport zu treiben. Nur durch eine große Spendenaktion konnte der Etat im mittleren sechsstelligen Bereich zuletzt gesichert werden. Fünftligisten sichern Etats dieser Größe im Fußball oftmals mühelos. „Das zeigt die Schräglage im Deutschen Sport. Das System Fußball ist komplett überreizt. Die ARD zeigt selbst Drittligaspiele. Es ist ein Wahn“, sagt Müller-Angstenberger, der seine Spieler zehn Mal pro Woche zum Training bittet. Wie oft Sponsoren dem Fußball den Vorzug vor anderen Sportarten geben, erlebt TVR-Manager Jörg Papenheim regelmäßig. Für ihn ist das gesamte Thema eine philosophisch-gesellschaftliche Debatte: „Wir müssen uns fragen: Wollen wir wirklich eine Monokultur mit dem Fußball in Deutschland? Oder ist das nicht ein bisschen wenig?“.


* Name geändert, Anm. d. Red

Erstveröffentlichung am 27.7.2013 in: http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten.html

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