Doping in der BRD

Mittwoch, 28. August 2013

Bunte Spritzen in Barcelona

Systematisches Doping in der BRD? (Ex-) Sportler über die neuen Enthüllungen

Die Studie der Berliner Humboldt-Universität über die Dimensionen des Doping-Systems in Westdeutschland hat die Glaubwürdigkeit des deutschen Spitzensports der letzten Jahrzehnte massiv beschädigt. Was wussten Ex-Spitzensportler aus Baden-Württemberg über das Dopingprogramm? Und: Wie gehen aktuelle Sportler und Funktionäre mit den Enthüllungen um?

Ibrahim Naber

spritze

Tübingen. Die Spritze gab es für den Tübinger Helmut Roth jede Woche einmal nach dem Training. Mal war sie grün, mal rot, ein andermal gelb. Der Mannschaftsarzt persönlich verabreichte sie jedem Spieler des spanischen Fußball-Zweitligisten UE Sant Andreu bei Barcelona, wo Roth 1974 für eine Saison kickte. Der Mittelfeldspieler erinnert sich: „Keiner von uns wusste, was in den Spritzen drin war. Mir wurde auf Nachfrage nur gesagt: ‚Vitamine! Vitamine!’“. Das nahm Roth damals einfach so hin. Er machte sich keine größeren Gedanken über die ominösen Vitamin-Cocktails in Barcelona. Heute, gut 40 Jahre und etliche Doping-Enthüllungen später, ist das anders: „Jetzt im Nachhinein nach all den Enthüllungen im Sport gehe ich fast davon aus, dass in den Spritzen mehr als nur Vitamine drin waren. Es ist gut möglich, dass bei uns im Team gedopt wurde.“

„In Deutschland nichts mitbekommen“


Doping und Fußball? Über Jahrzehnte zwei Begriffe, die niemand wagte, in einem Satz zu vereinen. Heute muss man davon ausgehen, dass Doping auch im Fußball eine Rolle spielte und noch immer spielt. Zu den Kunden von Sportmediziner Eufemiano Fuentes, der auch Jan Ullrich mit Dopingmitteln versorgte, gehörten offenbar auch etliche Spieler von Real Madrid und des FC Barcelona. Und laut der aktuellen Studie der Humboldt-Universität sollen Spieler der deutschen Nationalmannschaft bei insgesamt drei Weltmeisterschafts-Endspielen unter Dopingverdacht gestanden haben. Helmuth Roth, der in der Bundesliga etwa für 1860 München (1968-1970) spielte, beteuert jedoch: „In Deutschland hab’ ich was Doping angeht nichts mitbekommen. Nur bei Verletzungen wird viel gespritzt, gerade Cortison, um schneller fit zu werden. Das ist ja legitim. Aber systematisches Doping im Fußball? Daran glaube ich nicht!“

„In den 60-er Jahren hat keiner was genommen“

Vom Rasen auf die Tartanbahn: Lange Zeit glaubte auch der ehemalige Mehrkämpfer Gerold Jericho nicht, dass in seiner Sportart systematisch gedopt wird. „Ich war schon immer sehr naiv. Mittlerweile denke ich, dass fast alle Spitzenathleten - gerade Sprinter – gedopt sind“, sagt Jericho, der für die TSG Tübingen 1963 deutscher Vizemeister im Fünfkampf geworden war. Hat Doping bereits in den 60-er Jahren die Leichtathletik dominiert? Nein, sagt Jericho mit Nachdruck. „In den 60-er Jahren bis Anfang der 70-er Jahre hat bei uns Läufern keiner irgendetwas genommen!“
Laut der Studie der Humboldt-Universität hat systematisches Doping in der BRD im Oktober 1970 mit dem Aufbau des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) seinen Anfang genommen. Das BISp soll leistungsfördernde Mittel erforscht und dann zur Einnahme an Sportler weitergegeben haben. Es passt ins Bild, dass Jericho ausgerechnet bei den Deutschen Meisterschaften 1972 unnatürliche Veränderungen bei Sportlern wahrnahm: „Ich habe bei den Meisterschaften 1972 in der Nähe der Kugelstoßer gewohnt. Die konnten kaum mehr laufen vor Muskeln! Das war verrückt. Ab den 70-er Jahren wussten wir zumindest, dass fast alle Werfer dopen.“

Ist der Sport heute sauberer?

Hürdensprinter Gregor Traber (LAV Tübingen) hat den Verdacht, dass Doping in manchen Staaten, gerade in Osteuropa, auch noch heute systematisch betrieben wird. Der 20-Jährige sieht bei Wettkämpfen manchmal Leichtathletinnen, die wie Männer aussehen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Leistungssprünge einzelner Athleten, die Traber stutzig machen: „Ich weiß, wie hart es ist, sich um wenige Hundertstel zu verbessern. Wenn dann eine Frau sich über Nacht von 6,50 Meter auf 7 Meter verbessert, bin ich immer skeptisch. Aber: Alle unter Generalverdacht zu stellen, finde ich einfach schade!“

Für den Studenten waren die neuesten Doping Enthüllungen in erster Linie ein großer Schock. Gleichzeitig bewertet Traber es positiv, dass die Vergangenheit detailliert aufgearbeitet wird. Ihm selbst sei noch nie von einem Arzt oder Trainer Doping angeboten worden, sagt der Student, der Deutschland im Anti-Doping-Kampf in einer Vorreiterrolle sieht. Traber selbst muss täglich bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) angeben, wo er sich zu welcher Uhrzeit befindet, um den Kontrolleuren unangemeldeten Dopingtests zu ermöglichen. Andere Länder wie das Heimatland von Sprint-Superstar Jusain Bolt pflegen einen deutlich laxeren Umgang mit Dopingkontrollen. Traber befürwortet das deutsche System, obwohl er weite Teile seines Privatlebens dafür preisgeben muss. Jedoch schränkt die deutsche Nachwuchshoffnung ein: „Ich bin bereit das alles zu tun, wenn es wirklich dem Zweck dient, d.h. Betrüger aus dem Verkehr zu ziehen!“

Doping als gesamt-gesellschaftliches Problem


Alle Interviewpartner sprachen sich für ein deutlich strengeres Sanktionssystem für Dopingsünder aus. Walter Jericho und Traber plädieren dafür, dass ertappte Sportler für mindestens vier Jahre gesperrt werden. Derzeit sind es nur zwei Jahre Sperre: „Das ist viel zu wenig! Eine Sperre muss dem Sportler richtig weh tun – auch finanziell“, sagt Jericho. Traber hält auch die allgemeine Einführung eines Blutpasses für sinnvoll. Für Klaus Tappeser, Präsident des Württembergischen Landessportbund (WLSB), muss das Sanktionssystem auch eine abschreckende Wirkung auf Trainer und Ärzte haben. Er sieht Doping als gesamt-gesellschaftliches Problem: „Ich würde mir ein Klima in der Gesellschaft wünschen, in dem es nicht um jedes Hundertstel geht, nicht um einen Weltrekord nach dem nächsten.“
Gregor Traber weiß, dass eine solche Gesellschaft wohl immer Wunschdenken bleiben wird. Für den deutschen Meister steht fest: „Solange es um Geld und Prestige im Sport geht, besteht immer der Anreiz für manche, unter allen Umständen zu dopen.“

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